„Wissenschaft entsteht im Gespräch“
Werner Heisenberg



Zum Ende des Jubiläumsjahres blickt die Universität Leipzig in einer dreiteiligen Reihe auf ein elementares Zeichen universitären Lebens: den Disput. Auch das Jubiläumsjahr war geprägt von Disputen und Konflikten. Ein gutes Zeichen, denn auch in der Vergangenheit waren es oft Dispute, die zu Neuerungen, Verbesserungen und oft zum Umdenken an der Alma mater Lipsiensis führten.

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Dispute in der Vergangenheit

Vom Konflikt zur Gründung

Der erste wegweisende Disput fand 1409 an der Universität Prag statt. Damals wurden die Machtverhältnisse innerhalb von Universitäten anhand von „Nationes“ (im Sinne von Landsmannschaften) definiert. Dazu zählten an der Universität Prag die böhmische Nation (Tschechen, aber auch Studenten deutscher Abstammung), die bayrische Nation (süddeutsche Länder), die polnische Nation (ostdeutsche und slawische Gebiete) und die sächsische Nation (Norddeutschland und Skandinavien). Jede Nation hatte eine Stimme. Aus diesem Grund fielen große Anteile der Macht in Form von Pfründen (heute: Planstellen) auf Deutsche. Antideutsche Strömungen sorgten zu Beginn des 15. Jahrhunderts dafür, dass der böhmische König Wenzel IV. mit dem Kuttenberger Dekret das Stimmrecht der „Nationes“ änderte: Die böhmische Nation erhielt nunmehr drei, die drei deutschen Nationen hingegen insgesamt nur eine Stimme. Die Magister der drei deutschen Nationen legten gegen diese Änderung des Wahlmodus Protest ein, der jedoch erfolglos blieb. König Wenzel setzte einen tschechischen Rektor für die Universität Prag ein und verteilte die Pfründe neu. Der König nutzte seine Macht dazu, dass der entstandene Disput zwischen den Böhmen und den Vertretern der übrigen „Nationes“ keineswegs gleichberechtigt auf der Basis von Argumenten stattfand. Die Einmischung des Monarchen in universitäre Angelegenheiten sowie die mangelnde Möglichkeit, den Disput auf fairem Weg beizulegen, bewegten am Ende fast zweitausend Magister und Scholaren der bayrischen, polnischen und sächsischen Nationen dazu, die Universität Prag zu verlassen. Ein Teil von ihnen fand den Weg nach Leipzig und gründete die hiesige Universität Leipzig. Der unselige Disput zwischen den Böhmen und den übrigen „Nationes“ führte somit in gewisser Weise zur Gründung der Alma mater Lipsiensis.

Reformation des Alten

Als eine weitere für die Universität wegweisende Leipziger Disputation fand vom 27. Juni bis zum 16. Juli 1519 ein Streitgespräch zwischen Johannes Eck, Andreas Bodenstein gen. Karlstadt und Martin Luther statt. Ursprünglich sollte diese Disputation zwischen Eck und Karlstadt stattfinden, allerdings erkannte Eck seinen Hauptgegner in Martin Luther, was dazu führte, dass Eck sich darauf zwei Gegnern gegenüber sah. Schon im Oktober 1518 fand ein Treffen von Eck und Luther statt, das eine Einigung in Bezug auf einen Ort und einen Zeitpunkt des Streitgespräches bringen sollte. Eck setzte sich bei der Ortswahl durch und entschied sich für die Leipziger Universität. Der Auftakt des Streitgesprächs erfolgte durch Eck und Karlstadt, bevor es später durch den deutlich länger dauernden Disput zwishen Luther und Eck fortgesetzt wurde. Dadurch bedingt, dass die Disputationstexte in Erfurt und Paris veröffentlicht wurden, entwickelte sich die Leipziger Disputation zu einem sehr wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignis.

Wegweisend war dieser Disput vor allem für die künftige Umgestaltung der Kirche im Zuge der Reformation, da Luther bei dem Streitgespräch offenkundig aussprach, dass er weder dem Papst noch den Konzilien höchste Autorität in Glaubensdingen zugestehe. Damit wurde der Bruch zwischen dem Reformator und der römischen Kurie bei diesem Disput öffentlich. Ab 1539 bekannte sich Sachsen als protestantischer Staat.

Latein adé

Das 17. Jahrhundert ließ nur wenig Zeit für Dispute. Gezeichnet von Krieg, Armut und Pest nahm die Anzahl an Studenten schnell ab. Betroffen vom Dreißigjährigen Krieg musste die Universität sich Mitte des 17. Jahrhunderts wieder regenerieren. Der physischen Zerstörung fiel nur das Gebäude der Juristen zum Opfer, wodurch der reguläre Lehrbetrieb weitergeführt werden konnte. Allerdings führte die Vergänglichkeit durch Krieg und Krankheit dazu, dass sich kritischer mit Gegebenem auseinandergesetzt wurde. Hier finden sich die Anfänge der Frühaufklärung, die erst im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Einer ihrer wichtigen Vertreter war der Leipziger Dozent Christian Thomasius. Wegweisend war seine Auflehnung gegen die Gelehrtenwelt, als er begann, seine Vorlesungen in Deutsch abzuhalten. Einheitliche Gelehrtensprache war bis dahin Latein. Der zentrale Disput, der schließlich sein Finale in den Zügen der Aufklärung zeigt, nimmt dementsprechend seinen Anfang im 17. Jahrhundert, wobei Leipzig und seine Universität eine wichtige Rolle spielten.

Vernunft statt Bibel

Durch Buchhandel und Messen blühte die Stadt auf und zog wichtige Vertreter der Aufklärung an. Dazu zählten Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Thomasius, Christian Wolff und Christian Felix Weiße. Durch den Buchdruck wurde ein neues Mittel wissenschaftlicher Kommunikation entdeckt, welches vor allem ausgehend von Leipzig rege genutzt wurde. Der Grunddisput der Aufklärung ist der Vorzug des eigenen Verstandes vor Autoritärenzitaten. Hier gilt Vernunft statt Bibel. Obwohl Leipzig als Zentrum der Aufklärung galt, muss jedoch betont werden, dass viele aufklärerische Persönlichkeiten die Universität Leipzig verließen, da hier zu Beginn von Seiten der Universität gegen sie gearbeitet wurde. Dennoch prägten ihre Arbeiten den weiteren Verlauf der Geschichte der Universität Leipzig. Es entstand ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit Geist und Materie, was eine Weiterentwicklung der Bildung zur Folge hatte. Die Universität reagierte auf die Ideen der Aufklärung mit praxisrelevantem Wissen und der zunehmenden Unterrichtung in Deutsch.

Frauen an die Uni

Im 19. Jahrhunderts initiierte der Allgemeine Deutsche Frauenverein einen weitreichenden Disput zum Frauenstudium. Ab 1894 organisierte er unter der Leitung von Dr. Käthe Winscheid Gymnasialkurse für Mädchen. Während Deutschland im internationalen Vergleich erst sehr spät das Frauenstudium einführte, nimmt die Universität Leipzig eine deutsche Vorreiterrolle ein. Offiziell wurde es Frauen erst 1906 per Gesetz gestattet, sich zu immatrikulieren, doch in Leipzig waren bereits ab 1870 Gasthörerinnen erlaubt. So legte beispielsweise die Engländerin Hope Bridge Adams 1880 ihr medizinisches Staatsexamen ab. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass das Ministerium in Sachsen den Frauen das Studium zwischen 1880 und 1896 gesetzlich untersagte, den Professoren jedoch freistellte, Frauen teilnehmen zu lassen. An der Universität Leipzig wurde diese Ausnahmeregelungen oft genutzt, um der weiblichen Bevölkerung ein Studium zu ermöglichen.

Diktaturen zeichnen die Uni

Das 20. Jahrhundert stand im Zeichen zweier Diktaturen und dem aufkeimenden Widerstand dagegen. Die Universität führte ihren Lehrbetrieb unter beiden Diktaturen weiter. Als Ort der Disputation kam zumeist nur der Untergrund in Frage.

Zur Zeit der Nazi-Diktatur gab es unter Gerhard Mehnert eine Widerstandsgruppe an der Universität Leipzig. Weiterhin leistete Hermann Reinmuth gemeinsam mit Maria Grollmuß, Georg Sacke und einigen anderen Universitätsangehörigen Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Viele der Mitwirkenden kamen dabei ums Leben. Obwohl der Disput aufgrund der Übermacht der Nazis offenkundig nichts veränderte, ist die Erkenntnis wichtig, dass das NS-Regime nicht tatenlos hingenommen wurde.

Ähnliches spielte sich wenige Jahre später unter der Herrschaft der SED ab. Schon früh formierten sich Widerstandsgruppen gegen das sozialistische Regime – so auch die bekannte Belter-Gruppe unter Herbert Belter. Der Leipziger Student wurde 1951 in Moskau hingerichtet. Auch an den Montagsdemonstrationen beteiligten sich Studenten schon früh und es waren Studenten, die 1989 die Gründung des StudentInnenrates vorantrieben. Widerstand der Universität als Ganzes fand in der DDR-Zeit nicht statt – auch nicht, als das System sichtbar seinem Ende zuging: „Die Universität Leipzig als Institution hat nichts zur Friedlichen Revolution beigetragen, es waren nur die Individuen,“ sagte Altrektor Cornelius Weiß bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Politische Wenden“ am 27. September.

Claudia Höhne

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Dispute des Jubiläumsjahres

Geistreich

Im Jubiläumsjahr 2009 war Leipzig ein Brennpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. 129 Kongresse haben hier getagt, 62 Fachveranstaltungen haben stattgefunden, und die wichtigsten Gremien der Hochschulen hielten in Leipzig ihre Jahresversammlungen ab. Gäste aus aller Welt haben Leipzig besucht, um sich aktuellen Forschungsthemen zu widmen. Oft war dieses wissenschaftliche Geschehen für die Universitätsangehörigen und Leipziger nur durch große Englisch sprechende Gruppen in der Stadt sichtbar. Die meisten Kongresse blieben von der Öffentlichkeit fast unbemerkt. Wir wagen einen kleinen Einblick in die Themen, die für das Leben vieler Menschen relevant sind und in Leipzig diskutiert wurden. Es bleibt ein Ausschnitt, denn: Das Jubiläum 2009 war vielfältig.

Mensch und Natur

Stellvertretend für die zahlreichen Kongresse in der Medizin und den Naturwissenschaften sollen die Symposien „World Congress of Regenerative Medicine“ und die „Botanikertagung“ genannt sein. Bei beiden ging es um Techniken und Risiken der Zukunft. Das Hauptthema der Weltkonferenz war die regenerative Medizin, insbesondere Stammzellen und deren Potential für die Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten. Kontrovers wurden unter den Medizinern ethische Fragen und schnelle Behandlungs- und Heilsversprechen diskutiert sowie die sehr unterschiedlichen rechtlichen Bedingun- gen, unter denen Forscher in der ganzen Welt zu dem Thema arbeiten. Trotz aller unterschiedlicherGesichtspunkte: Die in Leipzig vorgestellten Forschungsperspektiven bieten für jedes menschliche Organ neue Behandlungsmethoden und bessere Heilungschancen.

Pflanzen der Zukunft waren das Thema der „Botanikertagung“. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, welche Pflanzen eine wichtige Rolle als Ausgangsmaterial zur Energiegewinnung oder zur Herstellung von Kunst- und Treibstoffen spielen könnten. Können Mikroalgen zur Herstellung von Kraftstoff dienen und kann man die Nutzung von Speisepflanzen zur Herstellung von Biodiesel vertreten, angesichts von weltweitem Hunger? Diese Fragen sind nur zwei von vielen Themen, denen sich die Pflanzenwissenschaftler in Leipzig stellten und die mit Zukunftsthemen der Menschheit zu tun haben.

Mensch und Risiko

Die Folgen der Klimaerwärmung des Planeten Erde für Mensch und Natur waren zu Beginn des Jahres Thema. Im Kongress „Risiko Erde“, bei dem Vertreter aus den unterschiedlichsten Disziplinen mit Praktikern der Katastrophenhilfe zusammen kamen, wurden die Herausforderungen im Umgang mit extremen Naturereignissen diskutiert. Es wurde deutlich, dass sich die dramatischen Folgen des Klimawandels auf der ganzen Welt auswirken und sowohl auf globaler als auch lokaler Ebene reagiert werden muss. Diese Herausforderung ist komplex und betrifft so unterschiedliche Fachbereiche wie Stadtplanung, Psychologie, Ingenieurwissenschaften und Meteorologie. So formulierten die Kongressteilnehmer dann auch ihre Abschlussforderung: Universitäten sind gefragt, Nachwuchs auszubilden, der mit der Komplexität der zu bewältigenden Anpassungen an den Klimawandel umgehen kann.

Theoretischer wurde im Leitkongress „Riskante Ordnungen“ diskutiert. In zahlreichen Vorträgen und Meisterklassen wurden die Phänomene sich wandelnder Ordnungen von Staaten betrachtet. Hauptsächlich ging es in den Vorträgen international bekannter Philosophen und Vertreter anderer Disziplinen um die Frage von Freiheitsverständnissen, schützenswerten Grundwerten und der Bewahrung demokratischer Verhältnisse in Zeiten, in denen Demokratien zunehmend herausgefordert sind.

Mensch und Unterdrückung

Zum Jahrestag der Friedlichen Revolution lag der Fokus der Universität auf den globalen Veränderungen, die das Jahr 1989 mit sich brachte. Beim Kongress „1989 in a Global Perspective“ ging es um die Frage, inwieweit sich ein globaler Zusammenhang der Ereignisse des Jahres 1989 weltweit feststellen lässt und ob diese globale Zäsur Folgen für die Interpretation des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts hat. Dabei wurde unter anderem kontrovers diskutiert, ob man die Ereignisse des Jahres 1989 wirklich als Revolution bezeichnen kann und ob „1989“ weltweit oder vorrangig im östlichen Europa statt gefunden hat.

Mensch und Universität

Warum hat man Universitäten gegründet, wo gehen sie hin, welche Potentiale und Probleme gibt es? Das waren Themen, denen sich nicht zuletzt durch die aktuellen Diskussionen um die Studienreform mehrere Kongresse und Symposien widmeten. Der erste Leitkongress 2009 „Wissen und Geist. Universitätskulturen“ reflektierte die Universitätskulturen in den vergangenen Jahrhunderten und erarbeite im Anschluss an den Kongress den Tagungsband „Leipziger Diskurs“, der ab Januar 2010 erhältlich sein wird. Durch ein Impulspapier auf der Konferenz angeregt, versammelt der Band Argumente und Sichtweisen der Kongressteilnehmer über den Charakter von Universitäten.

Der Zusammenhang zwischen Universität und Gesellschaft wurde auch bei von Studierenden organisierten Kongressen wie „Humboldt Reloaded“ und dem Kolleg „Science who cares“ thematisiert. Insbesondere das studentische Kolleg „Science who cares“ untersuchte Schnittstellen zur gesellschaftlichen Bedeutung von Universität und Wissenschaft. Untersucht wurde die Vermittlung von Wissenschaft in der Schule (Lehrerausbildung), Wissenschaft in Museen und in den Medien.

In der Festwoche übte sich der Leitkongress „Wissen und Effizienz. Ökonomisierung der Wissensgesellschaft“ in Selbstreflexion und Handlungsempfehlungen für Universitäten und Gesellschaft unter dem Blickwinkel des Verhältnisses von Ökonomie und Wissenschaft. Die Atmosphäre war konzentriert und engagiert, das Themenspektrum reichte von Forschungsfinanzierung und -evaluation, über Bildung, Schule, Lehre, Kultur und Sinngebung in der Wirtschaft, dem Verhältnis von Universitäten und Forschungsinstituten hin zur Ökonomisierung des Wissens in Bibliotheken und Medien u.v.m. Dabei machten manche Diskussion und mancher Positionsvortrag deutlich, dass die Ökonomisierung von Wissenschaft und -gesellschaft immer auch von der Positionierung der darin agierenden Akteure abhängt. So rief einer der Podiumsteilnehmer den anwesenden (Nachwuchs-)Wissenschaftlern zu: „Warum ändern wir nicht einfach die Instrumente der Evaluierung – wir wissen doch, wie es geht!“.

Mensch und Wissen

Die „intellektuellen Gemeinschaften auf Zeit“ (Prof. Middell) lösen sich nach einem Kongress auf, Bücher werden publiziert und neue Projekte angestoßen. Heisenbergs Motto „Wissenschaft im Gespräch“ scheint sich bei allen Kongressen bewahrheitet zu haben. Nach Rückfrage an die Projektleiter der hier genannten Kongresse stellen die meisten fest, dass ein fruchtbarer Austausch zwischen Wissenschaft und Praktikern stattgefunden habe und interessante Projekte ins Auge gefasst wurden. Der Wissenschaftsstandort Leipzig hat sich einen Namen gemacht, die Forderung nach neuen Studiengängen wurde politisch gehört, deren Umsetzung wird kritisch begleitet. Der Prorektor für Studium und Lehre Prof. Fach hofft, dass in seiner Vortragsreihe Riskante Ordnungen „Studierende erfahren haben, wie interessant es sein kann, nachzudenken – und wie ‚nachdenklich’ sich das Bachelor-Studium ausgestalten lässt“. Offene Fragen werden ebenso benannt wie Forderungen nach zukünftigen Forschungsfeldern gestellt. Prof. Diedrich (Ökonomisierung der Wissensgesellschaft) stellt abschließend zu seinem Kongress fest: „Die Entwicklung der Wissensgesellschaft betrifft uns alle, vorwiegend aber die jüngere Generation. Jedermann weiß, dass Wissen im 21. Jahrhundert zur wichtigsten Ressource werden wird. Es geht deshalb darum, die Gewinnung, Verteilung und Weitergabe von Wissen in unserer Gesellschaft zweckmäßig zu organisieren. Davon, ob dies gelingt, wird es abhängen, welche Bedingungen die nachwachsende Generation an den Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen unseres Landes antreffen wird“. Das sind große Themen, die eine Universität nicht alleine bewältigen kann. Aber die Alma mater Lipsiensis war im Jubiläumsjahr 2009 ein Ort der Diskussion und wissenschaftlichen Auseinandersetzung – ein guter Nährboden für die Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft.

Anne Glück

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Dispute der Zukunft

Der Newsletter gab seit seiner ersten Ausgabe vom Oktober 2006 mit der Rubrik „Disput“ Persönlichkeiten des Hochschullebens, der Politik und Wirtschaft die Möglichkeit, sich zu aktuellen Belangen der Universität im Allgemeinen und der Universität Leipzig im Speziellen zu äußern. Will man sich nun den zukünftigen und zukunftsträchtigen Disputen nähern, also solchen, deren Ausführung die Universität Leipzig nachhaltig verändern, gestalten und entwickeln werden, kann man sich einen Überblick verschaffen, indem man die einzelnen Disputbeiträge der 25 vorangegangenen wissenswert-Ausgaben nach Gemeinsamkeiten durchforstet.

„Die Universität der Vergangenheit war ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Die Universität der Zukunft könnte wieder ein solcher werden“ überschreibt beispielsweise Dr. Arend Oetker im Dezember 2007 seinen Beitrag. Er stellt zudem die Forderung auf, „Universität muss öffentlich werden.“ Knapp zwei Jahre später, im September 2009, greift Prof. Dr. Ansgar Zerfaß in seinem Disputbeitrag eine Diskussion auf, die sich damals genau an einer solchen Öffentlichwerdung entzündete: Die Hochschulmarketing-Kampagne ostdeutscher Bundesländer zur Anwerbung westdeutscher Abiturienten an einer ostdeutschen Hochschule: „Studieren in FernOst.“

Mithilfe von Youtube-, Facebook- und SchülerVZ-Profilen erreichte die Kampagne über 28.000 Onlinenutzer, die der Zielgruppe zuzuordnen waren. In den Medien äußerten sich Rektoren und Präsidenten beworbener Hochschulen dennoch teils negativ über die Inhalte. Von „unübersehbar unzureichender Vermittlung“ war gar die Rede. Für Zerfaß ist aber auch die Strategie der angestammten Hochschulwerbung, ausschließlich „Spitzenleistungen und Profileigenschaften“ zeigen zu wollen, keineswegs erfolgreiche Hochschulkommunikation. Eine solche müsse authentisch sein. „Die Kultur und Struktur der Hochschule muss verinnerlicht werden – einschließlich aller Brüche und Visionen.“ Und weiter: „Authentizität ist nicht nur in der Kommunikation mit den Studienanfängern, sondern auch im Dialog mit Studierenden, Lehrenden, Mitarbeitern und Partnern gefragt“. Für die Zeit nach dem Jubiläum, also ab jetzt, fordert Zerfaß eine „strukturelle Neuorientierung der Universität Leipzig“, in derem Zuge eine solche Kommunikation unabdingbar sei.

Auch Prof. Dr. Harald Marx attestiert am Ende seines Beitrags im Februar 2008: „Bildung und Erziehung im 21. Jahrhundert muss transparenter werden“ und Prof. Dr. Ulrich Brieler kommt im Februar 2009 zu dem Schluss, dass unsere Universitäten kein neues Geschäftsmodell bräuchten, „wohl aber eine neue Politik des Geistes.“ Dr. Günter Roski wies in seinem Disput im Oktober 2008 auf die Ergebnisse der Imageanalyse 2007 hin: Warum stellen dort die Universitätsangehörigen ihrer Uni schlechtere Noten aus, als Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Medien? Die Antwort sei, so Roski, „im Prozess einer klug geführten internen Kommunikation zu finden.“ Dabei wäre wichtig, „alle Akteure der Universität in die Diskussion mit einzubeziehen.“ Sonst würde die Chance vertan werden, „das Profil des Hauses nach außen wie innen entscheidend aufzuwerten“. Trotz der in den zitierten Disputbeiträgen teils unterschiedlichen Lösungsmethoden, zeigen sie die Gemeinsamkeit auf, dass eine erfolgreiche Zukunft der Universität Leipzig intellektuell und von innen heraus bewerkstelligt werden sollte.

Was kann also die Alma mater Lipsiensis, was können wir tun – und wie nennen wir das dann? Oder anders gefragt: Welche Profile kämen nun in welcher Aufwertung dem Ziel am nächsten, tatsächlich die richtigen Überlebensstrategien für die Volluniversität Leipzig im 21. Jahrhundert zu finden? Wie bekommen wir die Transparenz in allen Belangen hin, wie können wir durch uns eine strukturelle Neuorientierung oder eine neue Politik des Geistes entstehen lassen, wie kann die Universität wieder ein Ort der Begegnung und des Austauschs werden – ohne zusätzlichen Finanzbedarf, der ja auch immer die Freiheit beschneidet, selbst entscheiden zu dürfen?

Was, wenn die Universität Leipzig es schaffen kann, dass sich alle Bereiche durch sich selbst profilbildend engagieren? Wie kann ein Exzellenzgedanke sowohl in Forschung und Lehre, als auch in der Selbstverwaltung greifen? Was können einem selbstgewählten, umfassenden „Exzellenz-Profil“ für Ziele zugrunde liegen?

Ein Studium hat ohnedies bereits ein markantes Ziel: den Studienabschluss. Im Zuge der Bologna-Reform wurde dieser traditionell gesellschaftlichen Zielvorgabe noch eine strukturbedingte Zeitvorgabe verpasst. In der universitären Forschung sprechen die einzelnen Projekte schon durch sich und vor der Aufnahme der Forschungstätigkeiten Ziele aus. Um umfassend und übergreifend am Profil zu arbeiten, muss sich auch die Selbstverwaltung an jedem ihrer Schreibtische nach den Zielen fragen lassen können – und vor allem befähigt sein zu antworten. „Exzellenz“ aber kann nicht verwaltet werden. Man kann sie entwickeln. Und hat man sie erreicht, muss man sie weiterentwickeln. Selbst ein Verteidigen der Exzellenz widerspricht ihr im Kern. Sobald die Entwicklung der Exzellenz nicht im Fokus des Tagesgeschäfts steht, ziehen andere vorbei. Und exzellent sind immer nur diejenigen, die oben auf der Skala stehen. Insofern sollte der Begriff „Verwaltung“ in möglichst naher Zukunft inhaltlich mit dem Begriff „Entwicklung“ gleichgezogen haben. In den Köpfen. Und vielleicht sogar im Duden. Denn neue gesellschaftlich entstandene Wortschöpfungen und Bedeutungsänderungen finden ihren Weg immer dorthin.

Ein Duden-Eintrag „Verwaltung –> Entwicklung“ könnte eine Zielvorgabe sein. Doch sollten wir nicht zuallererst die Studienbedingungen verbessern und mehr Geld für die Forschung auftreiben? Wir sollten auch diese Punkte anstreben. Aber nicht in einem Bürokratiegebilde, das wir selbst als verwaltend bezeichnen und verstehen. Wir sollten aufhören zu verwalten. Wir sollten entwickeln. Uns Ziele setzen, die Ziele erreichen und uns darüber freuen. Solch ein Vorgang impliziert die Identifikation mit den Zielen, den Profilen und dem Leitbild. Der o. g. Rest mit dem Duden und Google etc. entwickelt sich dann von selbst. Wir müssen an einem Strang ziehen. Die Selbstverwaltung darf nicht die Säule der Universität sein, von der sich die Forschung behindert und die Lehre falsch verstanden fühlt – oder umgekehrt oder ganz anders herum. Die drei Säulen sollten alle das Dach tragen. Und das Dach ist allen Organigrammen zum Trotz nicht das Rektorat – das Dach ist die Universität Leipzig selbst.

Nahezu 30000 Studierende und mehrere Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen ihr inneres Bild der Universität nach draußen. Und da steht es dann, so wie es herausgetragen wurde. Verändert, verbessert kann es nur von denjenigen werden, die es dort hingestellt haben: eben von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von den wissenschaftlichen wie den nicht wissenschaftlichen und natürlich auch von den Studierenden.

Wenn jeder dieser Universitätsangehörigen mindestens einmal im Jahr die Chance hat, ein Ziel erfolgreich zu erreichen, dann wirkt sich das auf das Profil aus. Profilbildend können also nicht nur Forschungsbereiche sein; Profile werden von der Gesamtheit der Universität gebildet.

Stürzen wir uns doch auf die Exzellenz. Besser sein zu wollen, als wir sind, kostet kein Geld. Entscheiden wir selbst, was exzellent ist, wenn wir in öffentlichen Wettbewerben den Zuschlag nicht bekommen. Machen wir uns auf den Weg in eine Universität, die nicht nur geographisch in der Mitte einer Stadt liegt und nicht nur aus Tradition Grenzen überschreitet. Öffnen wir die Uni durch transparente Exzellenz und exzellente Transparenz – also von innen. Dann können sich alle Universitätsangehörigen im Windfang der Effizienz oder im Windzug der Globalisierung zuerst unter einander begegnen und austauschen. Und die frohe Botschaft davon – das gewachsene Profil – freudestrahlend mit ihrer Universität im Rücken in die Öffentlichkeit tragen. Ein Prozess der dann gar nicht mehr lange dauern wird, denn die Öffentlichkeit steht schon mit Transparenten wartend vor der Tür: „Guten Morgen, Exzellenz.“

Christoph Graebel

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