Vom Konflikt zur Gründung
Der erste wegweisende Disput fand 1409 an der Universität Prag statt. Damals wurden die Machtverhältnisse innerhalb von Universitäten anhand von „Nationes“ (im Sinne von Landsmannschaften) definiert. Dazu zählten an der Universität Prag die böhmische Nation (Tschechen, aber auch Studenten deutscher Abstammung), die bayrische Nation (süddeutsche Länder), die polnische Nation (ostdeutsche und slawische Gebiete) und die sächsische Nation (Norddeutschland und Skandinavien). Jede Nation hatte eine Stimme. Aus diesem Grund fielen große Anteile der Macht in Form von Pfründen (heute: Planstellen) auf Deutsche. Antideutsche Strömungen sorgten zu Beginn des 15. Jahrhunderts dafür, dass der böhmische König Wenzel IV. mit dem Kuttenberger Dekret das Stimmrecht der „Nationes“ änderte: Die böhmische Nation erhielt nunmehr drei, die drei deutschen Nationen hingegen insgesamt nur eine Stimme. Die Magister der drei deutschen Nationen legten gegen diese Änderung des Wahlmodus Protest ein, der jedoch erfolglos blieb. König Wenzel setzte einen tschechischen Rektor für die Universität Prag ein und verteilte die Pfründe neu. Der König nutzte seine Macht dazu, dass der entstandene Disput zwischen den Böhmen und den Vertretern der übrigen „Nationes“ keineswegs gleichberechtigt auf der Basis von Argumenten stattfand. Die Einmischung des Monarchen in universitäre Angelegenheiten sowie die mangelnde Möglichkeit, den Disput auf fairem Weg beizulegen, bewegten am Ende fast zweitausend Magister und Scholaren der bayrischen, polnischen und sächsischen Nationen dazu, die Universität Prag zu verlassen. Ein Teil von ihnen fand den Weg nach Leipzig und gründete die hiesige Universität Leipzig. Der unselige Disput zwischen den Böhmen und den übrigen „Nationes“ führte somit in gewisser Weise zur Gründung der Alma mater Lipsiensis.
Reformation des Alten
Als eine weitere für die Universität wegweisende Leipziger Disputation fand vom 27. Juni bis zum 16. Juli 1519 ein Streitgespräch zwischen Johannes Eck, Andreas Bodenstein gen. Karlstadt und Martin Luther statt. Ursprünglich sollte diese Disputation zwischen Eck und Karlstadt stattfinden, allerdings erkannte Eck seinen Hauptgegner in Martin Luther, was dazu führte, dass Eck sich darauf zwei Gegnern gegenüber sah. Schon im Oktober 1518 fand ein Treffen von Eck und Luther statt, das eine Einigung in Bezug auf einen Ort und einen Zeitpunkt des Streitgespräches bringen sollte. Eck setzte sich bei der Ortswahl durch und entschied sich für die Leipziger Universität. Der Auftakt des Streitgesprächs erfolgte durch Eck und Karlstadt, bevor es später durch den deutlich länger dauernden Disput zwishen Luther und Eck fortgesetzt wurde. Dadurch bedingt, dass die Disputationstexte in Erfurt und Paris veröffentlicht wurden, entwickelte sich die Leipziger Disputation zu einem sehr wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignis.
Wegweisend war dieser Disput vor allem für die künftige Umgestaltung der Kirche im Zuge der Reformation, da Luther bei dem Streitgespräch offenkundig aussprach, dass er weder dem Papst noch den Konzilien höchste Autorität in Glaubensdingen zugestehe. Damit wurde der Bruch zwischen dem Reformator und der römischen Kurie bei diesem Disput öffentlich. Ab 1539 bekannte sich Sachsen als protestantischer Staat.
Latein adé
Das 17. Jahrhundert ließ nur wenig Zeit für Dispute. Gezeichnet von Krieg, Armut und Pest nahm die Anzahl an Studenten schnell ab. Betroffen vom Dreißigjährigen Krieg musste die Universität sich Mitte des 17. Jahrhunderts wieder regenerieren. Der physischen Zerstörung fiel nur das Gebäude der Juristen zum Opfer, wodurch der reguläre Lehrbetrieb weitergeführt werden konnte. Allerdings führte die Vergänglichkeit durch Krieg und Krankheit dazu, dass sich kritischer mit Gegebenem auseinandergesetzt wurde. Hier finden sich die Anfänge der Frühaufklärung, die erst im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Einer ihrer wichtigen Vertreter war der Leipziger Dozent Christian Thomasius. Wegweisend war seine Auflehnung gegen die Gelehrtenwelt, als er begann, seine Vorlesungen in Deutsch abzuhalten. Einheitliche Gelehrtensprache war bis dahin Latein. Der zentrale Disput, der schließlich sein Finale in den Zügen der Aufklärung zeigt, nimmt dementsprechend seinen Anfang im 17. Jahrhundert, wobei Leipzig und seine Universität eine wichtige Rolle spielten.
Vernunft statt Bibel
Durch Buchhandel und Messen blühte die Stadt auf und zog wichtige Vertreter der Aufklärung an. Dazu zählten Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Thomasius, Christian Wolff und Christian Felix Weiße. Durch den Buchdruck wurde ein neues Mittel wissenschaftlicher Kommunikation entdeckt, welches vor allem ausgehend von Leipzig rege genutzt wurde. Der Grunddisput der Aufklärung ist der Vorzug des eigenen Verstandes vor Autoritärenzitaten. Hier gilt Vernunft statt Bibel. Obwohl Leipzig als Zentrum der Aufklärung galt, muss jedoch betont werden, dass viele aufklärerische Persönlichkeiten die Universität Leipzig verließen, da hier zu Beginn von Seiten der Universität gegen sie gearbeitet wurde. Dennoch prägten ihre Arbeiten den weiteren Verlauf der Geschichte der Universität Leipzig. Es entstand ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit Geist und Materie, was eine Weiterentwicklung der Bildung zur Folge hatte. Die Universität reagierte auf die Ideen der Aufklärung mit praxisrelevantem Wissen und der zunehmenden Unterrichtung in Deutsch.
Frauen an die Uni
Im 19. Jahrhunderts initiierte der Allgemeine Deutsche Frauenverein einen weitreichenden Disput zum Frauenstudium. Ab 1894 organisierte er unter der Leitung von Dr. Käthe Winscheid Gymnasialkurse für Mädchen. Während Deutschland im internationalen Vergleich erst sehr spät das Frauenstudium einführte, nimmt die Universität Leipzig eine deutsche Vorreiterrolle ein. Offiziell wurde es Frauen erst 1906 per Gesetz gestattet, sich zu immatrikulieren, doch in Leipzig waren bereits ab 1870 Gasthörerinnen erlaubt. So legte beispielsweise die Engländerin Hope Bridge Adams 1880 ihr medizinisches Staatsexamen ab. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass das Ministerium in Sachsen den Frauen das Studium zwischen 1880 und 1896 gesetzlich untersagte, den Professoren jedoch freistellte, Frauen teilnehmen zu lassen. An der Universität Leipzig wurde diese Ausnahmeregelungen oft genutzt, um der weiblichen Bevölkerung ein Studium zu ermöglichen.
Diktaturen zeichnen die Uni
Das 20. Jahrhundert stand im Zeichen zweier Diktaturen und dem aufkeimenden Widerstand dagegen. Die Universität führte ihren Lehrbetrieb unter beiden Diktaturen weiter. Als Ort der Disputation kam zumeist nur der Untergrund in Frage.
Zur Zeit der Nazi-Diktatur gab es unter Gerhard Mehnert eine Widerstandsgruppe an der Universität Leipzig. Weiterhin leistete Hermann Reinmuth gemeinsam mit Maria Grollmuß, Georg Sacke und einigen anderen Universitätsangehörigen Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Viele der Mitwirkenden kamen dabei ums Leben. Obwohl der Disput aufgrund der Übermacht der Nazis offenkundig nichts veränderte, ist die Erkenntnis wichtig, dass das NS-Regime nicht tatenlos hingenommen wurde.
Ähnliches spielte sich wenige Jahre später unter der Herrschaft der SED ab. Schon früh formierten sich Widerstandsgruppen gegen das sozialistische Regime – so auch die bekannte Belter-Gruppe unter Herbert Belter. Der Leipziger Student wurde 1951 in Moskau hingerichtet. Auch an den Montagsdemonstrationen beteiligten sich Studenten schon früh und es waren Studenten, die 1989 die Gründung des StudentInnenrates vorantrieben. Widerstand der Universität als Ganzes fand in der DDR-Zeit nicht statt – auch nicht, als das System sichtbar seinem Ende zuging: „Die Universität Leipzig als Institution hat nichts zur Friedlichen Revolution beigetragen, es waren nur die Individuen,“ sagte Altrektor Cornelius Weiß bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Politische Wenden“ am 27. September.
Claudia Höhne